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Ministerin Werwigk-Hertneck will 2100 Stellen privatisieren
Amtsnotare, Bewährungshelfer und Gerichtsvollzieher betroffen
Ministerpräsident Erwin Teufel und die CDU haben auf die Justizreform von FDP-Ministerin Corinna Werwigk-Hertneck zurückhaltend reagiert. Er werde die Vorschläge prüfen, "wenn erforderlich auch korrigieren und ergänzen", sagte der Regierungschef.
Von Thomas Durchdenwald
Die Liberalen boten fast alles auf, was landespolitisch in Amt und Würden ist: Vizeregierungschef Walter Döring, Justizministerin Corinna Werwigk-Hertneck, Fraktionschef Ernst Pfister und der Abgeordnete Michael Theurer stellten am Mittwoch die Vorschläge zur Reform der Justiz vor. Viel Neues hatte das liberale Dreigestirn nicht zu berichten, nachdem Grundzüge schon am Dienstag bekannt geworden waren (die StZ berichtete). Döring und Pfister lobten den "großen Wurf", er sei "mutig" und "vorausschauend".
Allerdings greift der Vorschlag der Ministerin in den Kernbereich der Justiz, also Gerichte, Staatsanwaltschaften und Vollzug, nur geringfügig ein (siehe Winkel). Bis auf zwei Ausnahmen lehnt sie die Auflösung kleinerer Amtsgerichte ab. "Die Einspareffekte stehen in keinem Verhältnis zum Verlust an Bürgernähe und Effizienz", sagte Werwigk-Hertneck, die das Einsparvolumen auf höchstens eine Million Euro bezifferte. Unter den 108 Amtsgerichten gibt es fast 30, die weniger als zwei Richterstellen haben. Ihre Auflösung galt als eine mögliche Strukturmaßnahme - übrigens vor einigen Jahren auch vom Rechnungshof empfohlen.
Werwigk-Hertneck setzt dagegen ganz auf die Privatisierung und Bündelung von Aufgaben. Im Einzelnen heißt das:
Die Amtsnotariate werden durch freiberufliche Notariate ersetzt. 1000 Landesstellen fallen weg. Die bisherigen Amtsnotare sollen wählen können, ob sie freiberuflich arbeiten oder beim Land bleiben. "Es wird Übergangsregelungen geben", sagte die Ministerin. Das Land muss dadurch auf Einnahmen aus den Notargebühren verzichten, die nach Angaben der Ministerin bei netto rund 60 Millionen Euro im Jahr liegen. Allerdings werden auch höhere Beträge von 90 bis 140 Millionen Euro genannt. Auf Grund der EU-Rechtsprechung gingen die Einnahmen ständig zurück und fielen bald ganz aus, so die Ministerin.
Die Handelsregister sollen auf die Industrie- und Handelskammern übertragen werden. Dadurch werde das Land um 160 Stellen entlastet, hohe Investitionskosten von vier Millionen Euro für ein elektronisches Register entfielen. Diese Kosten müssten dann die Kammern tragen, die auch die Beschäftigten, die dazu bereit sind, übernehmen sollen.
Die Bewährungshilfe, die Gerichtshilfe und die sozialen Dienste im Justizvollzug sollen von privaten Trägern übernommen werden. Dies bedeutet den Wegfall von 435 Stellen. Allerdings müsse die Arbeit der neuen Träger vom Land bezuschusst werden. Werwigk-Hertneck geht von einer Effizienzrendite von 10 bis 15 Prozent aus, auch weil "viel mehr ehrenamtlich erledigt wird".
Der Gerichtsvollzieherdienst soll privatisiert werden. Dadurch könnten 537 Stellen wegfallen, 120 neue Stellen müssten nicht geschaffen werden. Wegen der hoheitlichen Aufgaben gibt es allerdings verfassungsrechtliche Probleme, die noch geprüft werden.
Die 741 kommunalen und elf staatlichen Grundbuchämter sollen in die 108 Amtsgerichte eingegliedert werden. Dies werde die Kommunen finanziell entlasten.
Für diese Neuerungen müssen in den meisten Fällen Bundes- und Landesgesetze geändert werden. Dennoch hält Werwigk-Hertneck es für möglich, dass die Reform Anfang 2004 in Kraft tritt. Über die finanziellen Auswirkungen machte sie keine konkreten Angaben. Der Abbau von 2100 Stellen schlage aber mit mindestens zehn Millionen Euro jährlich zu Buche, Pensionskosten nicht mitgerechnet. Sie räumte aber ein, dass, vor allem wegen des Wegfalls der Einnahmen aus den Notargebühren, "die Reform am Anfang auf jeden Fall Geld kosten wird".
Regierungschef Teufel, der am Dienstag von Werwigk-Hertneck informiert worden war, erklärte lediglich, "die Überlegungen der Ministerin betreffen fast ausschließlich den justiznahen Bereich ihres Hauses, nicht aber den Bereich der Justiz selbst". Er werde die Vorschläge auf ihre Realisierbarkeit hin prüfen. Schärfer formulieren die CDU-Sozialausschüsse. "Die Privatisierung der Notariate und der Handelsregister dient allein den Interessen der Anwaltslobby und der Kammern", sagt ihr Landeschef Christian Bäumler, Gewinne würden privatisiert, dies bringe das "Unternehmen Justiz" in Konkursnähe.
Die Grünen und die SPD stuften die Reformpläne als rechtlich bedenklich, unausgegoren und finanzpolitisch unseriös. Die Justizministerin habe kein Konzept, wie die Einnahmeausfälle bei den Notariaten ausgeglichen und die offenen Rechtsprobleme gelöst werden sollen.
Beifall von Notaren und Kammern
Die betroffenen Verbände reagieren positiv auf die Justizreform. "Der Übergang zum freien Notariat wird für die Bevölkerung zu einer besseren Versorgung mit notariellen Leistungen führen", sagte der Präsident des Bundesverbands der Notare, Stefan Zimmermann. Für das Land werde die Reform eine erhebliche Entlastung von Verwaltungsaufwand bringen und zu einer einheitlichen Regelung führen.
Bisher gibt es in Baden und Württemberg unterschiedliche Systeme. Nun sollen bestimmte Notariatsgeschäfte (Grundbuchamt) bei Amtsgerichten erledigt werden, andere (Grundstücksgeschäfte, Erbangelegenheiten) nur noch freiberuflich.
Der württembergische Notarverein wolle mit dem Ministerium eine zukunftsfähige Lösung finden, erklärte Vorsitzender Walter Strobel. Das Land müsse als Dienstherr denjenigen, die nicht in ein freiberufliches Notariat wollten, aber Alternativangebote machen. Auch der Gerichtsvollzieherbund bot Gespräche über die Reform an. Der Präsident des Oberlandesgerichts Stuttgart, Eberhard Stilz, meinte, eine Prüfung der Privatisierung sei vernünftig.
Der Präsident der Industrie- und Handelskammer Stuttgart, Till Casper, sprach von einem "richtigen Schritt zur Entlastung des Etats und damit von Bürgern und Betrieben". Die Kammern stellten das Handelsregister rasch auf ein elektronisches System um.
Aktualisiert: 02.05.2003, 05:36 Uhr
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