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Die Justizreform kann die Stabilität unserer Gesellschaft gefährden

Weniger Stellen für Richter und Staatsanwälte lassen um die Effizienz des Rechtssystems fürchten
- das aber gefährdet das Vertrauen der Menschen in den Rechtsstaat

Von Helmut Borth - Quelle: Stuttgarter Zeitung vom 05.01.2004

Am 26. November 2003 hat sich die Regierungskoalition nach monatelanger Diskussion über die Eckpunkte der Justizreform geeinigt. Die von der Justizministerin Corinna Werwigk-Hertneck vorgeschlagenen Privatisierungspläne wurden von der CDU-Landtagsfraktion in dem rechtspolitisch bedeutsamsten Teil, der Umwandlung der Württembergischen Bezirksnotariate in freie Notariate, abgelehnt. An dessen Stelle wurde der politisch einfachere Weg einer pauschalen Stellenkürzung gewählt. Die CDU/FDP-Koalition sieht in ihrem Reformpaket eine umfassende Justizreform. Es fällt schwer, dieser Bewertung zu folgen.

Im Augenblick kann nur der Stellenabbau von 360 Stellen bei den Gerichten, Staatsanwaltschaften sowie Notariaten und die Überführung der Bewährungshilfe in eine private Rechtsform umgesetzt werden. Für die Privatisierung der Handelsregister, der Gerichtsvollzieher sowie die Zusammenfassung der Sozial- und Verwaltungsgerichte zu einer öffentlich-rechtlichen Fachgerichtsbarkeit ist eine bundesgesetzliche Regelung notwendig. Deren Realisierung ist sehr ungewiss.

Worum geht es bei der Reform?

Dem Grundgesetz zufolge obliegt den Bundesländern die Verwaltung der Rechtsprechenden Gewalt. Ausnahmen sind das Bundesverfassungsgericht sowie die obersten Bundesgerichte. Die Bundesländer haben im Rahmen ihrer Organisationsbefugnis dafür Sorge zu tragen, dass Gerichte und Staatsanwaltschaften in personeller und sächlicher Hinsicht angemessen ausgestattet werden. Allerdings dürfen die Länder nur die Größe der Gerichtsbezirke und damit die Anzahl der Gerichte selbst bestimmen - nicht dagegen die Zuweisung von Aufgaben und den Gerichtsaufbau. Die Länder können nur über den Bundesrat steuern, welche Aufgaben den Gerichten und Staatsanwaltschaften zugewiesen werden. Aufgrund dieser Gegebenheiten hat es in der Vergangenheit vor allem bei der Einführung neuer Verfahrensbereiche wie den Familiengerichten oder der Neugestaltung des Betreuungs- und Insolvenzrechts immer wieder Meinungsverschiedenheiten darüber gegeben, ob Gerichte und Staatsanwaltschaften genügend ausgestattet werden.

In der baden-württembergischen Justiz wurde bereits in den neunziger Jahren damit begonnen, die Verfahrensabläufe zu straffen und effizient zu gestalten. So konnte die Justiz den bereits 1995 beschlossenen Stellenabbau im wesentlichen ohne nennenswerte Einbußen an Qualität und Erledigungsdauer bewältigen. Gleichzeitig hat sie in nahezu allen Bereichen ihren Spitzenplatz hinsichtlich der Dauer der Erledigungen und der Qualität erhalten - trotz der geringsten Richterdichte im Verhältnis zur Einwohnerzahl. Die nunmehr beschlossene Justizreform beruht deshalb nicht auf Defiziten der Justiz. Gerichte, Staatsanwaltschaften und Notariate haben ihre Hausaufgaben gemacht. Grund für die Reform ist allein der Beschluss von Landesregierung und Regierungskoalition, auch die Justiz an der Konsolidierung des Landeshaushalts zu beteiligen. Der Landesverband des Deutschen Richterbundes hat sich dem nie verschlossen und seine Bereitschaft gezeigt, bei Wahrung des gesetzlichen Auftrages der Justiz einen Beitrag zur Konsolidierung zu leisten. Dies allerdings muss durch strukturelle Veränderungen erreicht werden.

Rechtssicherheit gebietet Eile

Gerichte, Staatsanwaltschaften und Notariate sind zur Rechtsgewährung unabhängig von ihrer Belastung verpflichtet. Hierzu gehört nicht nur, dass überhaupt Recht gesprochen, sondern dass dies aus Gründen der Rechtssicherheit mit der gebotenen Sorgfalt und so zeitnah wie möglich gewährt wird. Dieses Gebot richtet sich zunächst an die Justiz selbst, setzt aber voraus, dass Landesregierung und Parlament die Justiz in die Lage versetzen, diese Aufgaben zu erfüllen. Hierauf hat das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich hingewiesen. In rechtlicher Hinsicht werden die durch den Stellenabbau eintretenden massiven Verzögerungen zunächst folgenlos bleiben, weil aus dem verfassungsrechtlich abgeleiteten Anspruch auf Rechtsgewährung kein unmittelbares Handlungsgebot an die Landesregierung abgeleitet werden kann. Dennoch darf der Regierung diese Entwicklung nicht gleichgültig bleiben. Das von einem großen Teil der Bevölkerung entgegengebrachte Vertrauen in unsere Staats- und Rechtsordnung beruht zu einem nicht unwesentlichen Teil auf einem effizienten Rechtssystem, das Rechtsverletzungen ahndet und Recht gewährt. Ist dies nur noch bedingt gewährleistet, gerät die Stabilität unserer Gesellschaftsordnung in Gefahr. Nicht umsonst ist der Ruf nach einem schnellen Eingreifen durch Staatsanwälte und Richter immer dann zu vernehmen, wenn spektakuläre Straftaten im Bereich der Wirtschaft und bei Gewaltdelikten bekannt werden. Dies wird zunehmen, wenn Staatsanwaltschaften und Strafgerichte auf Grund der vollzogenen Stellenkürzungen umfangreiche Wirtschaftsstrafsachen nicht mehr konsequent verfolgen können oder Straftäter auf freien Fuß gesetzt werden, weil die Hauptverhandlung nicht innerhalb der vom Gesetz vorgegebenen Frist durchgeführt werden kann. Dass der Justiz in der Tendenz weitere Aufgaben zuwachsen, die ein immer stärkeres Eingreifen des Staates zum Schutz der Schwachen und Hilfsbedürftigen verlangen, was besonders im Bereich des Betreuungsrechts sowie der Verbraucherinsolvenzen, aber auch im Verbraucherschutz zu Tage tritt, unterstreicht die Brisanz der beschlossenen Stellenkürzungen. Das Ergebnis des Kompromisses der Regierungskoalition gibt nicht zu erkennen, dass der besonderen Stellung der Justiz hinreichend Rechnung getragen wurde. Die zu begrüßende Kürzung des Abbaus von ursprünglich 721 Stellen um pauschal 50 Prozent lässt vielmehr auf die Beliebigkeit im Umgang mit den Aufgaben der Justiz schließen.

Regierung hat eine Chance vertan

Die Regierungskoalition hat die von Justizministerin Werwigk-Hertneck vorgeschlagene Umwandlung sämtlicher baden-württembergischer Notariate in ein freies Notariat mit der Begründung abgelehnt, auf den Ausfall der erwirtschafteten Erlöse von etwa 30 Millionen Euro könne derzeit nicht verzichtet werden. Dieses beachtliche Argument lässt aber außer Acht, dass die nunmehr beschlossenen globalen Stellenkürzungen auch die Notariate treffen und diese im Wettbewerb mit den freien Notariaten, die im badischen Landesteil zudem um 25 Stellen erweitert werden, weiter ins Hintertreffen geraten. Die Erträge sind daher alles andere als gesichert. Nun ist nicht zu verkennen, dass das württembergische Bezirksnotariat sehr leistungsfähig ist. Andererseits aber anzunehmen, dass die in Baden-Württemberg bestehenden vier verschiedenen Notariatssysteme erhalten bleiben, ist angesichts deren Einzigartigkeit im Bundesgebiet kaum anzunehmen und im Hinblick auf die Einflüsse der EU illusorisch. Es hätte deshalb nahe gelegen, durch eine langfristig angelegte Übergangszeit die vor allem im personellen Bereich auftretenden Fragen zu lösen. Was aber aus der Sicht der betroffenen Gerichte und Staatsanwaltschaften weitaus schwerer wiegt, ist die Tatsache, dass um des Gesichtspunkts vorübergehender wirtschaftlicher Vorteile willen die Zerstörung der anerkannt guten Qualität der Rechtsgewährung in Baden-Württemberg hingenommen wird.

Ausgewichen ist die Regierungskoalition der Frage nach einer Reduzierung der Anzahl der 108 Amtsgerichte. Erwiesenermaßen sind diese leistungsstark. Die als Argument für deren Erhaltung angeführte Bürgernähe erweist sich bei näherer Betrachtung als nicht stichhaltig. Viele Funktionen der kleineren Amtsgerichte, wie Handelsregister und Zwangsvollstreckung, wurden bereits bei den großen Amtsgerichten konzentriert. Zwar würde eine Reduzierung der Anzahl um etwa 30 Gerichte keine allzu großen Einsparpotenziale erbringen, dennoch aber eine spürbare Entlastung bewirken. Die Umsetzung von Stellenkürzungen wird zudem bei größeren Gerichtseinheiten besser bewältigt.

Parteipolitisches Prestigedenken

Das Ergebnis des Kompromisses zur Justizreform ist nicht hinnehmbar. Die pauschalen Stellenkürzungen führen bei Gerichten und Staatsanwaltschaften zu einer massiven Verschlechterung der Rechtsgewährung. Dieser Preis ist angesichts bestehender Alternativen zu hoch. Unbefriedigend ist vor allem, dass den besonderen Aufgaben der Recht sprechenden Gewalt in den Verhandlungen nicht die gebotene Bedeutung beigemessen wurde, sondern parteipolitisches Prestigedenken und regionale Interessen in Bezug auf die Erhaltung von Gerichtsstandorten und Notariaten ausschlaggebend waren, die zu dem vermeintlich bequemen Weg der globalen Stellenkürzung geführt haben. Diese Ansicht mag angesichts der politischen Realitäten als blauäugig angesehen werden; sie ändert aber nichts an diesem Befund.

Der Autor:

Helmut Borth ist seit Oktober 2003 Präsident des Amtsgerichts Stuttgart, zuvor war er Vorsitzender Richter eines Familiensenats am Stuttgarter OLG. Borth ist seit 1990 Vorsitzender des Landesverbands des Deutschen Richterbunds. Ion dieser Funktion hat er diesen Bericht verfasst.


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